Sie sind hier

facebook
twitter

Vortragsreihe: Dialektik der Technik
jour fixe initiative Frankfurt, jour fixe initiative Frankfurt, Michael Koltan, Simon Schaupp, Timmo Krüger, Peter Redfield, Julia Grillmayr, Sabine Pfeiffer, Andrea zur Nieden
Montag, 04.07.2022 - 18:00 uhr
Montag, 25.07.2022 - 18:00 uhr
Sonntag, 07.08.2022 - 18:00 uhr
Sonntag, 04.09.2022 - 18:00 uhr
Sonntag, 02.10.2022 - 18:00 uhr
Sonntag, 06.11.2022 - 18:00 uhr
Sonntag, 04.12.2022 - 18:00 uhr

Ort

basis e.V. Gutleutstraße 8-12 60329 Frankfurt am Main

Leseraum

Dialektik der Technik

Wissenschaft und Technik sind tief ambivalent: in ihnen vermengt sich potenzieller Fortschritt und reale Ungleichheit. Wie also mit Technologie umgehen, wenn diese Leid mindern kann, aber neues Leid erzeugt, wenn sie herrschaftlich verfasst ist? Können Posthumanismus, situierte Wissenschaftsmodelle oder in der Physikphilosophie entwickelte quantentheoretische Denkmodelle ein queeres statt dichotomes, ein beziehungsreiches statt herrschaftliches Geflecht von Menschen, Tieren und Dingen vorstellbar machen?

Diese Vortragsreihe nimmt die Ambiguitäten von Technik und Wissenschaft in den Blick und geht aktuellen Fragen von technologisierter Arbeitswelt, medizinischer Leibgestaltung, digitalem Kapitalismus und ökologischem Krisenmanagement auf den Grund.

Die Reihe wurde initiiert von der jour fixe initiative Berlin und Frankfurt. Die ersten beiden Veranstaltungen finden in Präsenz im basis Leseraum statt, zwei weitere in Berlin und die letzten drei Vorträge als Online-Zoom-Veranstaltung.
Hier gibt es weitere Informationen zur Vortragsreihe.

IM BASIS LESERAUM:

Montag, 4. Juli 2022, 18 Uhr
KI und der eindimensionale Mensch
Michael Koltan/ Freiburg/Br.

Technikkritik ist nichts Neues. Spätestens seit Beginn der industriellen Revolution wurde mehr oder weniger intelligent theoretische und praktische Kritik an Technologien geübt. Zur intelligenteren Kritik lässt sich die der Kritischen Theorie Herbert Marcuses rechnen. Doch ist diese Kritik, die im analogen Zeitalter entwickelt wurde, den Herausforderungen des Digitalen noch gewachsen? Der Vortrag untersucht, was passiert, wenn die Technikkritik Marcuses auf die aktuelle Entwicklung der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ (KI) trifft. Der Vortrag versteht sich dabei auch explizit als eine Einführung in KI, was sie kann und wo ihre Defizite liegen. Und was Marcuses Kritik des eindimensionalen Denkens uns an Einsichten über sie vermitteln kann.
 

Montag, 25. Juli 2022, 18 Uhr
Technopolitik von unten
Simon Schaupp/Freiburg/Br.

Von der Pflege bis ans Fließband: Es gibt kaum noch einen Bereich der Erwerbsarbeit, der nicht von der Digitalisierung betroffen ist. Sie erscheint dabei als unausweichliches Schicksal. Der Vortrag vollzieht einen Perspektivenwechsel. Ausgehend von Momenten des Konflikts zeigt sich die Digitalisierung der Arbeitsprozesse selbst als umkämpftes Terrain. Im Zentrum stehen deshalb die Beschäftigten: Mit welchen Strategien reagieren sie auf die Polarisierung der Arbeitswelt in hochqualifizierte Digitalexpertinnen und manuell Tätige, die, algorithmisch gesteuert und prekär beschäftigt, zunehmend ersetzbar werden?

 

Nur in Berlin:

Sonntag, 7. August 2022
Mehr ökologische Modernisierung wagen? Der Zwang zum Fortschritt
Timmo Krüger/Weimar

Im Vortrag wird die regierungspolitische Hoffnung auf grünes Wachstum, ermöglicht durch permanente technische Innovationen, als Faustischer Pakt interpretiert, der aus drei Gründen ausgeschlagen werden sollte. Die depolitisierenden, technokratischen Strategien des grünen Wachstums sind erstens nicht geeignet, die Demokratiekrise zu entschärfen. Der Faustische Weg der Kolonisierung und der Subsumtion der Natur unter gesellschaftliche – insbesondere ökonomische – Entwicklungsziele hat zweitens die ökologische Krise nicht nur verursacht, sondern scheitert bislang auch an der Bearbeitung derselben. Die Alternative zum Faustischen Pakt bedeutet drittens nicht Verzicht und Stagnation, sondern Fortschritt im Sinne Adornos, d. h. Vergrößerung von Handlungsoptionen und Verringerung der Abhängigkeit von Zwängen.

 

Zoom ONLINE -VERANSTALTUNGEN:
Link:
https://us02web.zoom.us/j/89944498068
 

Sonntag, 4. September 2022
Technopolitik der Hoffnung
Peter Redfield/North Carolina

Der Vortrag wird das ambivalente Verhältnis zwischen technologischen Fortschrittskonzepten, kolonialen Genealogien von Technik und postkolonialen Bedingungen diskutieren. Wie bescheiden kann eine Utopie sein? Diese Frage wird in Bezug auf den iShack gestellt, ein Projekt der solaren Elektrifizierung in Südafrika, das eine schrittweise Verbesserung der Lebensbedingungen der Bewohnerinnen von Elendsvierteln bringen soll. Seine Befürworter sehen darin eine Brückentechnologie für die Zeit, bis bessere Wohnungen und eine bessere Infrastruktur zur Verfügung stehen. Indem es eine unzureichende und vorläufige Form der Verbesserung bietet, macht das Projekt utopische Erwartungen an den Fortschritt sichtbar und provoziert zugleich Sorgen vor einer inadäquaten und unegalitären Zukunft. Das Projekt offenbart außerdem die ökologischen Grenzen konventioneller Infrastruktur, die fortdauernde Unzulänglichkeit staatlicher Vorsorge und die komplexe Technopolitik der Hoffnung.
 

Sonntag, 2. Oktober 2022
Transhumanismus. Posthumanismus. Kompost
Julia Grillmayr, Linz

Die Frage nach dem Nutzen und Nachteil der Technik wird ambivalent diskutiert, vielleicht in besonderem Ausmaß auf dem Feld der Ökologie und der feministischen Theorie. Angesichts von Umweltkatastrophen wird der Ruf nach technologischen Lösungen laut, gleichzeitig muss man vor allzu einfachen ‚technological fix‘auf der Hut sein, dievon Tech-Multimillionären versprochen werden. Der Feminismus tastet das emanzipatorische Potenzial von Technologie ab: Wo kreieren Techniken der körperlichen Optimierung neue Zwänge und Diskriminierungen, wo kreieren sie neue Freiheiten und drängen Stereotype zurück? Wie in dem Vortrag gezeigt wird, kommen diese Fragen unter dem Label Posthumanismus in besonders produktiver – wenn auch erneut ambivalenter – Weise zusammen. Was ist „kritisch“ am Kritischen Posthumanismus? Was transzendiert/transformiert der Transhumanismus? Vielleicht lassen wir die Humanismen besser ganz und frönen dem Kompost?
 

Sonntag, 6. November 2022
Distributivkapitalismus. Den digitalen Kapitalismus nicht über das Digitale erklärt
Sabine Pfeiffer/München

Viele, die den digitalen Kapitalismus im Munde führen, kritisieren zwar teils sehr fundiert Phänomene der digitalen Ökonomie – sind deswegen aber noch lange nicht kapitalismuskritisch, weder in Zielrichtung noch in den Analyseinstrumenten. Nähert man sich der digitalen Ökonomie, ihrem Technikeinsatz und ihren Geschäftsmodellen nicht vom Digitalen, sondern vom Ökonomischen, zeigt sich, dass wir es im Kern vor allem mit einer Facette der Produktivkräfte zu tun haben – den Distributivkräften. Der Vortrag zeigt die ökonomischen Ursachen auf, warum bestimmte digitale Technologie und digitale Geschäftsmodelle vorherrschend sind. Er entzaubert damit den üblichen Dreischritt (Technikentwicklung entfacht Wirtschaftsdynamik mit wiederum gesellschaftlichen Folgen). Gewagt wird ein Blick hinter die Phänomene der Digitalisierung (ohne die Realitäten der Technik zu vernachlässigen) und entwickelt eine analytische Perspektive, die Technikentwicklung, ökonomische Logik und gesellschaftliche Dynamik gemeinsam statt als sequenzielle Abfolge betrachtet.
 

Sonntag, 4. Dezember 2022
Angst im technisierten Leib
Andrea zur Nieden/Freiburg/Br.

Medizintechnik scheint größte Legitimation zu genießen, tritt sie doch an, zu heilen und Leben zu verlängern. Gleichzeitig lösen medizintechnische Errungenschaften größte Ängste aus – die „Apparatemedizin“, „Neuroenhancement“ oder gentechnische Veränderungen am Menschen beschäftigen Feuilletons und Ethikkommissionen, in deren Konsequenz die rationalste Gesundheitsbürgerin diejenige zu sein scheint, die per Patientinnenverfügung die Abschaltung lebensverlängernder Maßnahmen vorab festlegt. Cyborgs bevölkern in der Regel melancholisch um ihre „Echtheit“ besorgt oder als bedrohliche Killermaschine die Science Fiction, statt, wie es Donna Haraway propagierte, das Verwischen der Grenze zwischen Natur, Kultur und Technik zu genießen. Der Vortrag fragt ideologiekritisch einerseits, woher die Ängste vor Cyborgisierung kommen, die sich aktuell in Phantasien von Impfgegnerinnen äußern, sowie andererseits, unter welchen Bedingungen entsprechende Techniken überhaupt emanzipatorisch sein könnten.